Ein Einwurf von Hubert Anders
Meist
wird die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen recht
eindimensional entlang der Debatte geführt, ob der Mensch von
Natur aus faul oder fleißig sei. Also: wie groß wäre
der Anteil der Bürger, die – würden sie ein solches
Grundeinkommen erhalten – noch bereit wären, zu arbeiten
(und damit das Grundeinkommen der anderen durch ihre Steuerleistung
zu finanzieren).
Mein Anliegen ist es zu zeigen, dass unter
einigermaßen realistischen Voraussetzungen die Sorge, es würde
niemand mehr arbeiten, vollkommen unbegründet ist. Einkommen ist
ja kein binäres Phänomen („ich habe ein Einkommen“
vs. „ich habe kein Einkommen“), sondern war und ist zu
allen Zeiten ein Instrument sozialer Differenzierung („ich habe
mehr als ...“ vs. „ich habe weniger als ...“, die
Lieblings-Vergleichsperson bitte jeweils einzusetzen). Im Gegenteil:
im Vergleich mit subsidiären Sicherungssystemen steigt der
Arbeitsanreiz, da ja mit der Arbeit die Sicherungsleistung nicht mehr
wegfällt. Die Wohlstandsgrenze verläuft damit entlang des
Besitzes von – auch schlecht bezahlter – Arbeit oder
sonstiger Gelegenheit, geld- oder sachwertes Einkommen zu erzielen.
Darüber hinaus stellt sich heraus, dass Einkommen keine absolute Größe und Armut ein relativer Begriff ist. Gibt man jedem Bürger unterschiedslos den Betrag x, liegt augenblicklich das Armutsniveau bei diesem Betrag x. Wohlstand beginnt erst dann, wenn Einkommen zusätzlich zu diesem Bürgergeld erzielt wird. Eine Ausnahme mag die Akkumulation von Bürgergeld bei kinderreichen Familien darstellen, wenn auch Kinder Grundeinkommen beziehen (da sich ja die Wohnkosten dann auf mehrere Personen aufteilen).
Abhängig von der Gegenfinanzierung des Grundeinkommens kann noch das Problem der Geldmengenausweitung und der damit augenblicklich ausgelösten Inflation und Lohn-Preis-Spirale mit all ihren unerwünschten Wirkungen hinzutreten.
Mein Buch „2028 – Liebe, Macht und Bürgergeld“ zeigt in belletristischer Aufarbeitung des Themas anhand miteinander verwobener Einzelschicksale in einer amüsant-utopischen Geschichte, wie sich das Leben einige Jahre nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Österreich abspielen könnte.
Zwei der oben angeführten Phänomene treten dabei zwangsläufig auf: die Armutsfalle Grundeinkommen und die Vergrößerung des Abstandes zwischen Arbeit Besitzenden und Arbeitslosen. Das dritte – die inflationstreibende Wirkung der massiven Geldmengenausweitung – habe ich als Brandbeschleuniger hinzugefügt.
Im Rahmen von „2028“ liegen der Konstruktion des BGE folgende Prinzipien zugrunde:
Das BGE wird unterschiedslos an alle Bezugsberechtigten ausgezahlt. 200 Euro bis 6 Jahre, 500 Euro bis 18 Jahre, 1000 Euro danach.
Erwerbseinkommen und Pensionen werden bei der Einführung des BGE brutto um den halben Betrag des BGE gekürzt.
Pensionsanwartschaften werden weiterhin durch Beiträge aus Erwerbsarbeit gesammelt. Für die generelle Abschaffung der Pensionen scheint es mir kein auch nur halbwegs als „gerecht“ verkaufbares und rechtlich haltbares Übergangsszenario zu geben, v.a. nicht ohne massive Beitragsrückzahlungen und noch weitere Erhöhung der ohnehin schon zu großen Liquidität.
Arbeitslosengeld und staatliches Krankengeld werden hingegen ersatzlos gestrichen. Lediglich die einige Wochen bestehenden Krankengeldansprüche an den Dienstgeber bleiben bestehen: Dass bereits eine mehrwöchige Grippe die Finanzplanung einer Familie nachhaltig durcheinander bringt, hätte wohl mehr unerwünschte als erwünschte Wirkungen.
Das BGE bei Kindern und Jugendlichen ist nicht an die Erfüllung von Schul- und Ausbildungspflicht gebunden.
Unterhaltspflichten zwischen Eltern und Kindern werden per Gesetz abgeschafft.
Die Einführung geht Hand in Hand mit der Abschaffung der ungelenkten Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union. (In „2028“ nehme ich an, dass diese mit dem BREXIT abgeschaffft wird)
Neu Zuziehende müssen zwangsläufig das BGE sofort erhalten, das Gegenteil wäre nicht nur gleichheitswidrig, sondern würde auch den von der Wirtschaft erwünschten Zuzug von Schlüsselarbeitskräften zum Erliegen bringen. Das Lohnniveau ohne BGE ist schlicht zu niedrig. (In „2028“ gehe ich nicht davon aus, dass man der Wirtschaft dafür Kompensationsleistungen abverlangt)
Wertschöpfungsabgaben der Wirtschaft werden bei der Einführung nicht einmal diskutiert. (Die Einführung erfolgt in „2028“ durch eine konservativ-neoliberale Regierung)
Die Abschätzung der Wirkung eines BGE ist ohne vorliegende Erfahrungswerte hoch spekulativ. Jedenfalls kann man einzelne Effekte identifizieren – über deren statische und dynamische Wechselwirkungen lassen sich allerdings nur Vermutungen anstellen. Hier einige Überlegungen dazu:
Zunächst entsteht – wenn man das BGE unter den oben beschriebenen Rahmenbedingungen in eine Vollbeschäftigungs-Gesellschaft hinein einführt – ein gewaltiger Zuwachs an Liquidität, der im Sinne von Keynes kurzfristig eine Geldillusion auslöst. Sehr wahrscheinlich ist in den ersten beiden Jahren daher ein Boom bis hin zur Konjunkturüberhitzung, der fiskalpolitisch überhaupt nicht (man hat gerade am Steuersystem geschraubt) und geldpolitisch wenig bekämpfbar ist – die zugrunde liegende Liquidität entsteht ja aus der Ausweitung der Geldmenge und kann daher durch Erhöhung der Zentralbankzinsen wenig gebremst werden. Die Banken verborgen einfach die explodierenden Sichteinlagen, die Aufschläge auf die Zentralbankzinsen werden möglicherweise sogar negativ.
Dieser Boom löst unvermeidlich ein Ansteigen der Inflation aus. Die Preise steigen. Die Löhne zwangsläufig auch – die großen, gut organisierten Arbeitnehmervertretungen werden gerade in der Einführungsphase des BGE Reallohnverluste nicht hinnehmen, um „Crowding Out“-Effekte auf das Einkommen ihrer Klientel zu verhindern. Das BGE hingegen nicht, seine Bezieher haben keine vergleichbare Lobby.
Am unteren Rand des Arbeitsmarktes bricht die Beschäftigung weg, zunächst werden reguläre Jobs in Sparten mit großem Überhang an Arbeitssuchenden durch Prekariate, Gelegenheitsarbeit und Praktika ersetzt. Die steigenden Löhne führen zu einem weiteren Automatisierungsschub im tertiären Sektor. Die Hemmschwelle der Arbeitgeber bei Freisetzungen sinkt, da ja das Bürgergeld scheinbar als dauernde Lösung der Existenzsicherung (und nicht als temporäres „Auffangnetz” wie Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung) dient und soziale Verantwortung so leicht „beim Staat abgegeben” werden kann. Fragen des Lebenssinns und der gesellschaftlichen Teilhabe können so einfach in die individuelle Verantwortung verschoben werden („sollen Schach spielen, sich bilden oder die Oma pflegen, haben ja jetzt eh Zeit”).
Es kann dabei nicht ausbleiben, dass sich die Automatisierung bis weit in den mittelqualifizierten Bereich hinein ausbreitet und der Druck auf Löhne und Beschäftigung auch dort rasch zunimmt. Außerhalb der geschützten Bereiche, etwa öffentliche Verwaltung und staatsnahe Betriebe, aber zunehmend auch innerhalb dieser, kommt es zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Für Zwecke dieses Buches wird dieser Effekt auf ca. 30 Prozent des Beschäftigungsniveaus 2017 geschätzt (ca. 4,2 Millionen), damit sind ca. 1,2 Millionen Menschen zusätzlich erwerbslos, zusammen mit der schon bestehenden strukturellen Arbeitslosigkeit (2017 ca. 0,4 Millionen) insgesamt also an die 1,6 Millionen. Vermutlich die Hälfte davon allein in Wien, wo der Dienstleistungssektor gegenüber der weniger betroffenen Industrieproduktion deutlich überrepräsentiert ist. 800.000 Menschen, mehr oder minder gut qualifiziert, gesund und arbeitsfähig, „auf der Straße“, mit Einkommen auf Armutsniveau (weniger als BGE gibt es nicht, und so ist Armut definiert). Entsprechend werden gut gekleidete Dandies beiderlei Geschlechts, die sich, der Bürde der Erwerbsnotwendigkeit entledigt, mit Ihresgleichen in schicken Cafes zum intellektuellen Austausch bei Tee aus chinesischem Porzellan und Trüffeltorte treffen, nicht in nennenswerter Zahl auftreten.
Nicht zuletzt erwähnt, führt das BGE zu einer deutlichen Umverteilung nach oben und damit zu einem weiteren deutlichen Öffnen der Schere zwischen arm und reich. Die Grenze geht entlang des Besitzes von – auch schlecht bezahlter – Erwerbsarbeit. Haben die traditionellen Sicherungssysteme dafür gesorgt, dass die Einkommen erwerbsloser Menschen ca. 20 Prozent unter dem vorher erzielten Einkommen und im Bereich der Existenzsicherung ca. 20 Prozent unter dem Mindestlohn liegen, steigt dieser Abstand – auch vorsichtig geschätzt – auf mindestens 50 Prozent an, im Bereich des qualifizierten Mittelstandes wohl noch mehr. Eine Ausnahme bilden hier nur Familien mit vielen Kindern, bei denen das BGE den dominierenden Anteil am gesamt verfügbaren Einkommen darstellt.
Die insgesamt frei verfügbare Zeit in der Gesamtbevölkerung steigt an, vor allem im erwerbsfähigen Alter. Das begünstigt jedenfalls die Entwicklung von Selbsthilfe-Initiativen aller Art, von Selbstversorgung mit Lebensmittel über Tauschwirtschaft hin zu geschlossenen, vom Staat nicht kontrollierten und besteuerten Wirtschaftskreisläufen. Über deren volkswirtschaftliche Wirkung ist wenig bekannt. Insofern haben die Verfechter des Bürgergeldes natürlich Recht: die Menschen sind nicht von Grund auf faul. Allerdings: Über die Zahl derer, deren individuelle Fähigkeiten nicht ausreichen, sich unter den harten Bedingungen eines Arbeitsmarktes, der nicht mehr für Vollbeschäftigung sorgt, selber Erwerbsgelegenheiten zu schaffen, und die daher resigniert aufgeben, kann man lange spekulieren.
Es scheint unausweichlich, dass all diese Effekte zu einem Zeitpunkt ca. 5 Jahre nach der Einführung des BGE zu einer massiven Rezession bei zunächst noch anhaltender Inflation führen. Ob das temporäre Anpassungseffekte im Sinne eines „Tals der Tränen“ vor einer strahlenden Zukunft sind oder dauerhafte Wirkungen, sei Ihrer Einschätzung überlassen.